„Als Kind fand ich Karla Kolumna toll und wollte auch immer rasende Reporterin werden“, texte ich irgendwo ins Nichts hinein. Ob das überhaupt stimmt, weiß ich selbst nicht. Aber immerhin ist es eine Antwort auf eine dieser allzu vagen, automatisch generierten Fragen, auf die idealerweise allzu persönliche Auskünfte folgen sollten. In diesem Fall ist es die Frage: „Was war dein Traumjob als Kind?“.
Zum ersten Mal in meinem Leben nutze ich eine Dating-App. Und zum gefühlt hundertsten Mal in meinem Leben beantworte ich eine Frage, von der ich weiß, dass mein Match die Antwort genauso wenig interessiert wie seine Nachricht mich. Und doch klebe ich förmlich an meinem Handy und schreibe zehn, zwanzig, dreißig Personen parallel. Allesamt Menschen, die ich bis vor wenigen Stunden nicht kannte. Und deren Nachrichten mich – ehrlich gesagt – ebenso anrühren wie der Anblick eines Kieselsteinvorgartens im regnerischen Kölner Herbst.
Der Swipe ins Glück
Erich Kästners Gedicht „Sachliche Romanze“ beschreibt ein Paar, das bereits solange zusammen ist, dass es sich nichts mehr zu sagen hat. Gefühl- und lustlos scheint ihr Verhältnis, voneinander abgewandt. Dass eine Liebesgeschichte so endet, ist plausibel. Nicht aber, dass sie so beginnt. Eigentlich sollte sie mit einem Kribbeln in der Brust beginnen und einem heißen Gefühl auf den Wangen. Und doch ist es inzwischen üblich, einen Partner auf ebenjenem Weg zu suchen, der so ökonomisiert ist, dass die Schmetterlinge im Bauch gar nicht erst ankommen.
Dabei ist es nicht das Schreiben, das den Thrill ausmacht und es kribbeln lässt – das Swipen ist es. Es ist der Schub von Adrenalin vor dem nächsten Fingerwischen. Denn danach könnte auf meinem Bildschirm das Foto eines Menschen auftauchen, von dem ich mir vielleicht, nur vielleicht, vorstellen könnte, beim vermeintlichen „Deeptalk“ via Textnachricht mehr zu empfinden als beim Beantworten einer Arbeits-E-Mail. So wie ich beim Scrollen durch soziale Medien immer hoffe, das nächste Video könnte meine Dopaminrezeptoren zum Glühen bringen. In den vergangenen Tagen konnte ich mich deshalb kaum von meiner Dating-App lösen, zu groß war das Verlangen nach dem nächsten Kick.
Ein Marktplatz voller Menschen
Statt niedlicher Hundevideos oder unterhaltsamer Vlogs sieht man hier jedoch Menschen, deren Profile sich lesen wie Produktbeschreibungen auf Ebay. Er, 23, 189 cm groß, Wassermann, hat keine Kinder, studiert und sucht „Intimität ohne commitment“. Ja oder nein? Die Entscheidung fällt meist in unter drei Sekunden. An einigen Profilen bleibe ich hängen, um dann zu entscheiden, dass mir sein Musikgeschmack nicht gefällt oder die Haare zu kurz geschnitten sind. Und genauso wird mein Profil täglich hunderten von Menschen angezeigt, die sich ebenso binnen Sekunden entscheiden, ob sie sich möglicherweise in mich verlieben könnten oder nicht. Jeder Swipe ist eine Entscheidung, ob dieses Profil einen unserer limitierten Likes wert ist.
Dabei betrachten wir nicht einmal die Menschen, sondern lediglich deren Inserate. Nur dass viele dieser Werbungen nicht mal auf Temu verwendet werden könnten. Reihenweise Fotos von Menschen, die im Holocaust-Mahnmal posieren oder für ihr Werbebild am Pissoir stehen. Und eine Fülle an Anmachsprüchen, die schon meiner Großmutter nicht mehr als ein Gähnen abgerungen hätte.
Es ist ein ernüchternder Wettbewerb um Aufmerksamkeit. Darum, dass das Auge der potenziellen Partnerin doch hängen bleibt, sie dem Profil ein paar Sekunden mehr ihrer Zeit schenkt und dann hoffentlich ein Like vergibt. Je mehr Partyfotos, Beschreibungen von Geschlechtsorganen und Spiegel-Selfies auf meinem Bildschirm aufflackern, desto mehr hinterfrage ich, wonach ich hier eigentlich suche.
Gute Unterhaltung, solange wir nicht sprechen
Doch dann ist es wieder da, das kurze Aufblitzen meines Screens, auf das meine unterkühlten Serotoninempfänger gleich anspringen: „It‘s a Match!“, leuchtet da auf meinem Handy auf. Irgendwie fühlt es sich gut an, dieser fremden Person zumindest so weit zu gefallen, dass sie einmal mit dem Finger von links nach rechts über den Bildschirm gestrichen hat. Eine Person, die nichts weiter von mir kennt als fünf Fotos, meine Größe und eines meiner Hobbys. Nur kurz aber dauert der Schub an, bevor ich die Benachrichtigung wegklicke – und weiter durch die mir noch unbekannten Profile swipe.
Ob diese Person mir schreibt oder nicht, das ist letztendlich egal. Ich hatte schon viele Matches, bei denen niemand dem anderen eine Nachricht gesendet hat. Denn worüber sollen wir uns schon unterhalten? Wir kennen uns ja nicht. Und ich habe auch Besseres zu tun – weiter swipen zum Beispiel. Am besten unterhalten sind wir, wenn wir nicht miteinander sprechen. Denn warum sollten wir zäh und mühselig eine Beziehung zu einer Person aufbauen, von der wir selbst nichts wissen, wenn zwei App-Icons weiter die nächste Dosis Glücksgefühl wartet.
Einfach, ökonomisch, gut
Es ist einfach, einen möglichen Partner über eine Dating-App zu finden. Vom Like bis zum vereinbarten Date braucht es mitunter weniger als eine Stunde. Doch die Art des Kennenlernens könnte kaum gefühlloser sein. Statt zwei Menschen, die einander mögen, stehen sich beim Online-Dating zwei beworbene Produkte gegenüber, die dem jeweils anderen Betrachter ausreichend gut gefallen, um sie aus dem Schaufenster herauszunehmen. Hier sind keine Funken geflogen, sind keine Schmetterlinge geflattert. Hier haben Daten überzeugt, die man auf seinem Bildschirm überflogen hat.
Das ist legitim. Es ist effizient. Es spart Zeit. Und so ist es nicht verwunderlich, dass immer mehr Paare sich über Dating-Apps kennenlernen. Vielleicht werde ich ja auch noch erfolgreich sein – auf der Suche nach jemanden, dessen Kindheitsheld zu meiner Heldin passt. Aber wenn ich es mir recht überlege – Karla Kolumna konnte ich eigentlich nie wirklich leiden.
Naja, was wird verkauft… Werbung und eure Daten.